Grundlagen der Tarifpolitik
Definition der Tarifautonomie
„Die Tarifautonomie ist das Recht, an Stelle staatlicher Rechtsetzung in kollektiver Selbstbestimmung die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch freie Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmervereinigungen und Arbeitgebern zu regeln und zu diesem Zwecke Tarifverträge abzuschließen.”
Verfassungsrechtliche Grundlage der Tarifautonomie:
Artikel 9, Absatz 3 Grundgesetz
“Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. …”
Merkmale der Tarifautonomie
• Weitgehender Verzicht des Gesetzgebers auf eigene Regelungen
• Tarifvertragsparteien treten an die Stelle des Gesetzgebers
• Herstellung des sozialen Friedens im Arbeitsleben auf Zeit durch vertragliche Übereinkunft = Tarifvertrag
• Das bedingt grundsätzlich Gleichgewichtigkeit der Tarifvertragsparteien
Daraus folgt:
• Nur Gewerkschaften können für Arbeitnehmer Tarifverträge abschließen
• Herstellung des Verhandlungsgleichgewichtes notfalls durch Streik
“Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik wären im Allgemeinen nicht mehr als kollektives Betteln.”
(Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 10.06.1980 – 1 AZR 168/79)
Auswirkungen der Tarifautonomie
• Tarifnormen wirken grundsätzlich unmittelbar und zwingend (wie Gesetze)
• Grundsätzliches Abweichungsverbot vom Tarifvertrag
Ausnahme: Günstigkeitsprinzip, tarifliche Öffnungsklausel
• Verzicht auf tarifliche Ansprüche ist grundsätzlich unzulässig
Ausnahme: Vergleich mit Billigung der Tarifvertragsparteien
Die Koalitionsfreiheit bezeichnet das Recht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenzuschließen. Kern dieses Rechtes ist die Möglichkeit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zu gründen und sich diesen anzuschließen.
Positive Koalitionsfreiheit :
Freiheit, eine Koalition zu gründen, ihr beizutreten,
in ihr zu verbleiben und sich für sie zu betätigen
Negative Koalitionsfreiheit :
Freiheit, einer Koalition fernzubleiben bzw. sie zu verlassen
Anforderungen an eine Gewerkschaft (nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts)
• Wahrnehmung von Mitgliederinteressen
• Ziel: Abschluss von Tarifverträgen
• Freiwilliger Zusammenschluss, demokratische Struktur
• dauernde Verbindung (keine spontane “Basisgruppe”)
• Unabhängigkeit von Arbeitgebern, Staat, Parteien
• Überbetriebliche Organisationsform
• Anerkennung des Tarifrechts (TVG, Rechtsprechung)
• Druckpotential im Tarifkonflikt (keine Mini-Organisation)
Was regelt das Tarifvertragsgesetz (TVG)?
• legt die rechtlichen Rahmenbedingungen für Tarifverhandlungen und Tarifverträge fest.
• Beschreibt, wer Tarifvertragspartei und wer tarifgebunden ist
• regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien
• beschreibt Inhalt und Form von Tarifverträgen
• legt die Wirkung von Rechtsnormen (unmittelbar zwingend) von Tarifverträgen fest
• Regelt das Verfahren der Allgemeinverbindlichkeit
Was ist unter Tarifgebundenheit nach § 3 TVG zu
verstehen?
Tarifgebunden sind Mitglieder der Tarifvertragsparteien bzw. der Arbeitgeber, der selbst Partei eines Tarifvertrags ist.
Was beinhaltet die Nachwirkung gemäß § 4 TVG?
Nach Ablauf eines Tarifvertrages gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.
Nachwirkung auf einzelvertraglicher Ebene:
• Tarifvertrag
• Betriebsvereinbarung
• individuelle Regelung
§ 4 Ziffer 3 TVG: Das Günstigkeitsprinzip –
Abmachung zugunsten des Arbeitnehmers
auf einzelvertraglicher Ebene (auch auf Grund betrieblicher Übung) durch allgemeine Arbeitsbedingungen, durch Betriebsvereinbarung
Ausnahme:
Der Tarifvertrag enthält eine abschließende Regelung, dann kann nichts geregelt werden.
Günstigkeitsprinzip – Was ist eine günstigere Abmachung?
• objektiver Maßstab und keine subjektiven Anschauungen
• offensichtlich sachlicher innerer Zusammenhang (sogenannter Sachgruppenvergleich)
Beispiel: – Dauer des Urlaubs, Höhe des Urlaubsgeldes
• maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Günstigkeit ist der Augenblick, in dem die abweichende Vereinbarung getroffen wurde
Was ist ein Tarifvertrag?
Dem Tarifvertrag kommt zum einen eine Schutzfunktion für die abhängig Beschäftigten zu, indem dieser den „Preis der Arbeit“ regelt. Zumindest teilweise reduziert dies die Konkurrenz der Arbeitnehmer untereinander.
Bei Verträgen, die zwischen einem Arbeitgeber und einem einzelnen Arbeitnehmer ausgehandelt werden würden, geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich der schwächere und daher besonders zu schützende Partner ist.
Rechtsgrundlage für Tarifverträge ist in Deutschland das Tarifvertragsgesetz (TVG).
Regelt die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber.
Wer verhandelt Tarifverträge?
Tarifverträge können nur von den Tarifvertragsparteien, also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden (bzw. einzelnen Arbeitgebern) verhandelt werden.
Ziele:
• Arbeitgeber: Senkung, bzw. Erhaltung der bestehenden Personalkosten zur Erhöhung der Gewinne und der Erhaltung des Unternehmens
• Gewerkschaften: Verbesserung der Arbeitsbedingungen (durch Entgelterhöhungen, Verkürzung Arbeitszeit, usw.), Sicherung der Arbeitsplätze, Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeitnehmer (z. B. durch tarifliche Regelungen zur Weiterbildung, tariflicher Altersvorsorge etc.)
Warum Tarifverträge?
Gesetzliche Regelung: -> Tarifliche Regelung (hier Chemieindustrie)
Arbeitszeit: 48-Stunden-Woche -> Arbeitszeit: 37,5-Stunden-Woche
Urlaub: 24 Tage -> Urlaub: 30 Tage (plus Freischichten für ältere AN)
Sonderzahlungen: kein Anspruch -> Sonderzahlungen: 95 % eines Monatsentgelts als jährl. Einmalzahlung
Entgeltsteigerung: Kein Anspruch -> Entgeltsteigerung durchschnittlich
jährliche Entgelterhöhung
Arbeitsverhinderung: Kein Anspr. -> Arbeitsverhinderung: z.B. 2 arbeitsfreie
Tage bei eigener Heirat,1 arbeitsfreier Tag
bei Geburt eines eigenen Kindes
Kein Anspruch -> Tarifliche, arbeitgeberfinanzierte Altersvorsorge
Kein Anspruch -> Zeitwertkonten (Lebensarbeitszeit)
Kein Anspruch -> Tarifliche Regelungen zur Übernahme von Ausgebildeten
Kein Anspruch -> Tarifliche Regelung zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze
Merkmale von Tarifverträgen
Tarifvertrag
• enthält Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien
• regelt Inhalt, Abschluss, und Beendigung von Arbeitsverhältnissen
• kann betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen
• bedarf der Schriftform
Bundesregierung kann unter besonderen Voraussetzungen Allgemeinverbindlichkeit erklären.
Wirkungen des Tarifvertrags
Voraussetzung:
Tarifgebundenheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (AG im Verband / AN in der Gewerkschaft)
Tarifvertrag:
beinhaltet unmittelbare und zwingende Wirkung seiner Inhaltsnormen für die
Mitglieder der Vertragsparteien (Arbeitgeber und AN)
Abweichungen vom Tarifvertrag:
Nur in Ausnahmefällen möglich, aber, es gilt das Günstigkeitsprinzip; d. h. zugunsten des Arbeitnehmers können über die tariflichen Regelungen hinaus Vereinbarungen getroffen werden. Dies ist dann Sache der Betriebsparteien. Verzicht auf Ansprüche ist unzulässig
Nachwirkung:
Tarifvertrag gilt bis neue Vereinbarungen gelten
Tarifvertragsarten
• Flächentarifvertrag oder Haustarifvertrag
• Vergütungstarifvertrag
Entgelttarifvertrag (keine Unterscheidung nach gewerblichen Arbeitern und Angestellten)
Lohn- und Gehaltstarifvertrag (Löhne für gew. Arbeitnehmer, Gehälter für Angestellte)
Regelt die Löhne und Gehälter bzw. das Entgelt
• Manteltarifvertrag/Rahmentarifvertrag
Regelt z. B. die Arbeitszeit, Zulagen und Zuschläge
• Einzeltarifvertrag
Regelt z.B. Urlaubstarifvertrag, Tarifvertrag über Altersvorsorge usw.
Vergleich
Flächentarifvertrag ./. Haustarifvertrag
Flächentarifvertrag Haustarifvertrag
Gültig in einem bestimmten Gebiet, Gültig für ein Unternehmen
z. B. Bayern (auch bundesweit), z. B. E.ON
Gültig in einer oder mehreren
Branchen, z. B. Chemie
Gilt für alle Arbeitgeberverbandsmitglieder
Inhalt Vergütungs-/Entgelttarifvertrag
• Entgeltgruppen bzw. Gehalts- und Lohngruppen (nach Tätigkeit verbunden mit der Ausbildung)
• monatliches Entgelt bzw. Gehalt oder Lohn (Stundensatz)
• Ausbildungsvergütung
• Vertragsdauer (meist 12 Monate)
Inhalte Manteltarifvertrag
Rahmenbedingungen
• z. B. Arbeitszeit
• z. B. Urlaubsdauer/ -geld
• z. B. Zulagen/Schichtzulagen
• z. B. Kündigungsfristen
• z. B. Freistellungen
• z. B. Krankengeld
Wie entsteht ein Tarifvertrag?
Interne Meinungsbildung durch:
• IG BCE-Mitglieder
• von den Mitgliedern im Betrieb gewählte Vertrauensleute
• von den Vertrauensleuten gewählten Tarifkommissionen
• Verhandlungsführer
• Hauptvorstand der IG BCE und seiner Forderungsempfehlung
• Beschluss der Forderung durch die Tarifkommission
Externe Beeinflussung durch:
• Wirtschaftswachstum
• Produktivität
• Gewinnsituation
• Preissteigerungsrate
• internationale Wettbewerbssituation
• Lage am Arbeitsmarkt
Bei Scheitern der Tarifverhandlungen:
• Schlichtungsverhandlungen
• Schlichter (aus der Tarifkommission oder auch „Außenstehende“)
• verbindliche Mehrheitsentscheidung der Schlichter
Der Arbeitskampf
• Ultima ratio
• Arbeitskampf ist vom Grundgesetz geschützt
• Arbeitskampfrecht ist Richterrecht
Wie entsteht eine Tarifforderung?
Der Hauptvorstand der IG BCE (bestehend aus ehrenamtlichen Mitgliedern und hauptamtlichen) ist nach der Satzung für alle Fragen der Tarifpolitik zuständig.
Die Gesamtverantwortung richtet sich nach den Beschlüssen des Gewerkschaftskongresses, der Satzung und den Richtlinien der IG BCE.
Die Verantwortung ist, bis auf die Beschlussfassung über den Arbeitskampf, den gewählten Tarifkommissionen übertragen worden.
Solidarische Tarifpolitik
Die Vertrauensleute der einzelnen Betriebe geben, je nach Interessenlage unterschiedliche Forderungsempfehlungen an die Tarifkommissionen weiter. Die Tarifkommission, oder auch mehrere Tarifkommissionen, müssen auf dieser Grundlage die Forderung diskutieren und beschließen.
Dies ist ein Spagat, der schon oft zu Konflikten geführt hat und auch führen wird.
Deshalb ist es notwendig, schon bei den Diskussionen mit den Mitgliedern, im Vorfeld der Forderungsaufstellung über die Rahmenbedingungen zu reden.
Rahmenbedingungen für Tarifforderung
Verteilungsspielraum:
Es ist nicht möglich, an den Marktbedingungen vorbei Tarifpolitik zu machen, der Mehrwert eines Unternehmens oder einer Branche bestimmt den Verteilungsspielraum.
Forderungsaufstellung
Wenn die Preissteigerung hoch ist, wirkt sie wie eine Klammer, bei der
Aufstellung der Forderung.
Wenn die Preissteigerung niedrig ist, fällt diese Klammer bei der Aufstellung der Forderung weg und die Forderungen fallen unterschiedlich aus.
Probleme bei Forderungsaufstellungen
Bei niedriger Preissteigerungsrate und unterschiedlicher Produktivitätssteigerung der Betriebe ist der Flächentarifvertrag in Gefahr weil, den Arbeitgebern und auch den Arbeitnehmern das Hemd näher ist als der Rock!
Die Forderung Haustarifverträge oder auf den Betrieb zugeschnittene Öffnungsklauseln zu vereinbaren nimmt zu. Möglichst gleiche tarifliche Mindeststandards zu erreichen wird schwieriger.
Die solidarischen Tarifpolitik wird auf eine harte Probe gestellt.