Sparen bis der Arzt kommt…

oder die „28er“, Airbnb und die Strukturanpassungen… 

Wenn man in den letzten Monaten Berichte über Portugal in deutschsprachigen Medien verfolgt hat konnte man lesen, dass dieses Land „auf einem guten Weg in Sachen finanzieller Stabilisierung“ sei und endlich wieder prosperierende Verhältnisse einkehren können. Vom „Musterschüler“ ist die Rede und vom „Paradebeispiel“.

Kritische Töne werden allenfalls laut, wenn es sich um die neue Koalitionsregierung handelt und deren teilweiser Abkehr vom rigiden verordneten Sparkurs.

Aber werfen wir einen Blick auf einige Punkte des Maßnahmenkatalogs der Regierung unter der Ägide des EU-Kleeblatts.

Die Gehälter im öffentlichen Dienst wurden mit Ende 2009 eingefroren und sind seitdem nur in wenigen Bereichen wieder etwas aufgetaut (u.a. bei Exekutive und Militär). Das Mietrecht wurde dereguliert (behübschend nennt man dass Mietrechtsreform), d.h. es können kurzfristige Mietverträge mit 1jähriger Laufzeit vergeben werden und die Mietpreisbindung wurde aufgehoben (in der Folge haben viele alteingesessene Lisboeta ihre Wohnungen verloren).

Eine der hochgelobten Strukturmaßnahmen war u.a. – neben der Lockerung von Lohnfindung, Arbeitszeiterhöhung, Aufweichung des Kündigungsschutzes und drastische Kürzung der Abfertigungen – die Privatisierung des portugiesischen Stromnetzes – man höre und staune, das gehört jetzt den Chinesen.

Ebenso wurden Abfallwirtschaft und Teile der Gesundheitsversorgung und des öffentlichen Verkehrs privatisiert. Die kurz bevorstehende Privatisierung der Wasserversorgung konnte, als eine der Koalitionsbedingungen der Kommunistische Partei und des Linksblocks, im letzten Moment abgewendet werden, die TAB (portugiesische Fluglinie) wurde wieder zurückgekauft.

Wieder stellt sich mir die Frage, was das im realen Leben für die Menschen in diesem Land bedeutet:

Zu aller erst fällt das starke Gefälle von urban (städtisch) nach rural (ländlich) ins Auge – sowohl was Arbeitsplätze, als auch Zugang zu medizinscher Versorgung oder Post- u. Bankfilialen uäm. betrifft – in den Großstädten gibt´s einfach mehr davon. Vor allem junge Menschen wandern Richtung Großstädte oder verlassen das Land gleich ganz. Portugal leidet zur Zeit an einem massiven Bevölkerungsschwund, v.a. der jüngeren, qualifizierten Bevölkerungsteile…

Portugal und besonders Lissabon erleben in den letzten Jahren einen unglaublichen Tourismusboom, der einen gut Teil des Wirtschaftswachstums ausmacht.

Aber das hat im wahrsten Sinn des Wortes seinen Preis: Die Immobilienpreise und Mieten sind exorbitant angestiegen. So kostet eine 75m2 Wohnung in Lissabon (Stadt) gut € 900,- Miete. Die Kaufpreise liegen, je nach Lage bei €250.000,- oder auch deutlich höher – die Lebenshaltungskosten sind im städtischen Bereich für ältere Personen und das Gros der ArbeitnehmerInnen nicht mehr leistbar. Menschen die an den Rand Lissabons ziehen und öffentlich zur Arbeit pendeln zahlen für die Monatskarte (je nach Zone und Combi) zw. € 32,- und € 80,-. Produkte des täglichen Bedarfs liegen preislich etwas unter dem österreichischen Niveau, die Preise für Strom und Treibstoff liegen aber darüber (der Stompreis stieg seit 2010 um 50 %, das ist der 3.höchste Anstieg in der gesamten EU).

Auch Kindergartenplätze sind sehr teuer (ab ca. €200,- pro Kind, bei nach oben offener Preisskala… eine befragte Kollegin zahlt für ihre beiden Kinder gemeinsam € 500,- mtl für den KiGa) und auch öffentliche KiGa-Plätze de facto kaum zu bekommen und ebenfalls kostspielig. Die Kinder-Karenzzeit beträgt derzeit 152 Wochen, danach braucht frau/mann für das Kind entweder einen Betreuungsplatz oder Großeltern in der Nähe oder bleibt ohne Einkommen zu Hause, was sich niemand der Personen die ich kennen gelernt habe auch nur ansatzweise leisten könnte…

Meine kleine Umfrage bezüglich des Einkommens war, vor allem Angesichts der Lebenshaltungskosten, erschütternd:

Die befragten GewerkschaftsmitarbeiterInnen (auch mit akademischem Grad) verdienen, je nach dem wie lange sie schon dabei sind, in Vollzeit brutto zwischen € 1000,- und max. € 1200,- . Die befragten KrankenpflegerInnen bekommen brutto (incl. aller Zulagen und Üst.) zw. € 900,- und 1200,-. Im Bereich Arbeiter des Public Service, aber auch in Teilen des Handels  schaut es noch unendlich trister aus: Das Gros bekommt den Mindestlohn von derzeit € 580,-.

Daneben gibt es in praktisch allen Beschäftigungsbereichen sogenannte „Greenworker„, Menschen ohne Arbeitsvertrag, lediglich mit (grüner) Beschäftigungsmeldung, die nicht nur völlig rechtlos sind (keinerlei Kündigungsschutz, keine Entgeltfortzahlung, kein Karenzgeld… nix), sondern sich auch selbst versichern müssen – wem von den geneigten Lesern kommt denn das bekannt vor???

Sowohl das Einkommen als auch die gesamten Lebensumstände sind für viele PortugiesInnen wirklich prekär!

Und was hat das jetzt mit Airbnb zu tun?

Jeder der eine leerstehende Wohnung hat profitiert wesentlich mehr davon, diese kurzfristig an Reisende zu vermieten, anstatt längerfristig an Bewohner. In den Altstadtvierteln der Stadt kaufen Investoren ganze Häuserblocks, renovieren diese und vermieten bzw. verkaufen diese an finanzstarke Interessenten (zumeist Ausländer). Durch diese Entwicklung werden ganze Nachbarschaften aufgelöst und massiv verändert, ältere Menschen die auf Hilfe angewiesen sind (Lissabon ist echt nix für gehbehinderte oder körperlich eingeschränkte Menschen) verlieren ihr soziales Netzwerk.

In meinem Appartement könnte z.B. locker eine Familie mit Kind wohnen, aber natürlich nicht zu diesem Preis….

Und die „28er“????

Die Tram-Linie 28 ist symptomatisch für die Entwicklung in Lissabon. Sie ist eine „Ringlinie“ und fährt durch alle Stadtteile. Damit ist sie für viele Menschen ein wichtiges Transportmittel.

Oder vielleicht sollte ich sagen, sie war es. Seit Touristen diesen „Geheimtipp“ für eine günstige, „romantisch-authentische“ Rundfahrt in einer Uralt-Tram entdeckt haben, ist es für Anwohner kaum noch möglich, einen Fuß in die chronisch überfüllte Tram zu bekommen (geschweige denn einen Sitzplatz, wenn man es mal reingeschafft hat).

Nicht dass die Touris damit irgendwo hin fahren, die meisten fahren einfach fotografierend eine Runde (auszusteigen und was anzuschauen wäre auch blöd, man kriegt keinen Platz mehr für eine Weiterfahrt…) und steigen am Beginnpunkt wieder aus.

Trotz der finanziell angespannten Lebenssituation habe ich sehr freundliche, ja nachgerade herzliche und hilfsbereite Menschen kennengelernt. Für mich war die Möglichkeit in Lissabon zu sein nicht nur aus gewerkschaftlicher Sicht eine große Bereicherung.

P.S.: 

Portugal, der europäische Musterschüler, hat kaum eines der vorrangig von der EU geforderten Ziele erreichen können (nämlich markante Reduktion des Budgetdefizits und dauerhafte Reduktion der Staatsausgaben). Das Gesamtdefizit beträgt fast 130% vom BIP (vor der Krise waren es 84%) und die Staatsquote liegt mit 45% (nach deutlich höheren Spitzen in den Krisenjahren) ca. wieder auf dem Niveau von 2005- 2007.

2009 brachen die Staatseinnahmen deutlich ein (dafür stiegen die notwendigen Ausgaben) und steigen seit 2013 kontinuierlich wieder an – auch und nicht zuletzt wegen des europaweiten, wirtschaftlichen Aufschwungs…

Die Neuverschuldung konnte auf deutlich unter 3% gesenkt werden, der Preis dafür ist allerdings hoch. Die verordneten Strukturreformen (Verkäufe und Deregluation) haben dem Staat für den Verkauf von öffentlichem Eigentum ca. 9 Milliarden Euro eingebracht (das EZB-Kreditvolumen betrug übrigens 78 Milliarden Euro) und den Bürgern stark steigende Wohnkosten und markant geringere Einkommen beschert.

2014 durften die Steuerzahler dafür die privaten Handelsbanken „Banco Espirito Santo“ mit 4,9 Milliarden Euro retten und 2015 die BANIF mit 2,3 Milliarden… https://de.reuters.com/article/portugal-banken-banif-santander-idDEKBN0U41VX20151221

 

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