Same same but different???

Der Gini-Index und die Ungleichverteilung oder warum Zahlen wichtig sind, aber das Nachdenken nicht ersetzen…

Disclaimer: Achtung! Das ist ein langer Beitrag mit vielen Zahlen (und ohne Bilder), verschärftes Nachdenken und selbständiges Recherchieren können als Nebenwirkungen auftreten 🙂

 Der Gini-Koeffizient (oder Gini-Index) gibt den Grad der Ungleichheit der Einkommensverteilung, z.B. in einem Land oder einer Region, nach dem häuslichen Pro-Kopf-Einkommen an. Die Berechnung des Gini-Koeffizienten geht aus der so genannten Lorenz-Kurve hervor. (…) Mit anderen Worten: Aus der Lorenz-Kurve lässt sich ablesen, wie das Gesamteinkommen einer Volkswirtschaft auf einen bestimmten Anteil der Bevölkerung entfallen (z.B. 90% des Einkommens fallen auf 10% der Bevölkerung etc.). D.h., je näher der Wert an 0 ist, desto gleicher ist die Verteilung des Einkommens. Im Allgemeinen werden Länder mit einem Gini-Koeffizienten zwischen 0,50 und 0,70 (Gini-Index zwischen 50 und 70) als sehr einkommensungleich, und die mit einem Gini-Koeffizienten zwischen 0,20 und 0,35 (Gini-Index zwischen 20 und 35) als relativ einkommensgleich bezeichnet.

https://www.lai.fu-berlin.de/e-learning/projekte/vwl_basiswissen/Umverteilung/Gini_Koeffizient/index.html

Soweit also die Theorie. Was bedeutet das aber für die Menschen?

Und wo hat die Aussagekraft des Gini-Koeffizienten/ Index ihre Grenzen?

In welchem Staat wäre es, wenn es nur nach diesem Index ginge, erstrebenswerter zu leben? In einem, mit einem Index von 27, oder 30, oder 34? Wenn es bloß so einfach wäre!

Hier ein paar Indizes zum Vergleich: Gini-Index

Steuern u. Transfer  VORHER      NACHHER

Portugal                                53,0               33,9                           S80/S20 = 5,9

Deutschland                          50,0               29,9                           S80/S20 = 4,7

Österreich                            49,5               27,9                           S80/S20 = 4,1

Rumänien                           ??                   34,5                           S80/S20 = 7,0

http://stats.oecd.org/index.aspx?queryid=66670

http://ec.europa.eu/eurostat/de/web/income-and-living-conditions/data/main-tables

Das Problem mit diesem Index ist, dass er nicht nur von der Qualität und Menge der Daten abhängt, sondern auch, dass nicht die Gesamtheit der Bevölkerung abgebildet werden kann. Die Anzahl an und die Einkommenssituation von „informell“ Beschäftigten (z.B. Volunteers, PraktikantInnen, TagelöhnerInnen und SchwarzarbeiterInnen, Prostituierten…), Obdachlose uäm. finden, wenn, dann allenfalls über Schätzungen und Datenkorrekturen Eingang in den Index.

Der Index gibt auch keine Auskunft darüber, ob z.B. bei relativer Einkommensgleichheit relativer Wohlstand in der Bevölkerung herrscht. Es können auch SEHR niedrige Einkommen annähernd gleich verteilt sein und die Bevölkerung in Armut leben (siehe Rumänien). Daneben ist es interessant, wie sich der Gini-Index für Einzeleinkommen und Haushaltseinkommen unterscheidet und wie er VOR und NACH sozialen Transferleistungen aussieht. Denn damit wird deutlich, welche überaus wichtige Rolle staatlichen Umverteilungsmaßnahmen zukommt!

Und was bedeutet nun dieses S80/S20??? Dieser Quotient zeigt eigentlich nur, WIE weit die Einkommen auseinanderklaffen. In z.B. Deutschland verdienen die 20% der höchsten Einkommensklassen durchschnittlich 4,7mal so viel wie die der untersten 20%. In Rumänien verdienen sie durchschnittlich 7mal soviel (halt auf niedrigerem Niveau)!

So ähnlich also der Gini-Index in den angeführten Ländern ist, so unterschiedlich ist möglicherweise die reale Lebenssituation! Und, manch einer mag es schon vermutet haben, es gibt auch einen Gini-Index für die Vermögensverteilung. Dieser zeigt ein völlig anderes Bild als jener der Einkommensverteilung!

(Quelle: Credite Suisse http://publications.credit-suisse.com/tasks/render/file/index.cfm?fileid=AD6F2B43-B17B-345E-E20A1A254A3E24A5)

Deutschland            79                  Österreich    78,5

Rumänien    73                             Portugal        71,3

Also doch eher Rumänien oder Portugal als Land unserer Träume?

Vielleicht riskieren wir noch mal einen genaueren Blick, bevor wir die Koffer packen…

Wir erinnern uns – je näher der Gini-Index bei 0 ist, desto gleicher die Verteilung…

Vermögensverteilung In % der Bevölkerung (Quelle: http://commons.ch/deutsch/wp-content/uploads/Länder-nach-Vermögensverteilung-Ungleichheit-20151.pdf)

>10.000 $     10.000-100.000$          100.000- 1Mio.$                <1Mio.$

Rumänien         70%               28,6%                              1,3%                            0,1%

Portugal           24,9%              61,0%                            13,5%                          0,6%

Deutschland     29,7%              33,9%                              34,2%                      2,3%

Österreich        27,9%               32,5%                              36,7%                      2,9%

Die ungleiche Vermögensverteilung ist in allen aufgezählten Ländern erheblich. In Rumänien konzentriert es sich jedoch auf die 2 untersten Gruppen und, in umgekehrter Reihenfolge und etwas schwächerer Ausprägung, gilt dies auch für Portugal. Da die beiden oberen Gruppen de facto „ausgedünnt“ sind, wirkt die Vermögensverteilung eine Spur weniger ungleich als z.B. in Deutschland oder Österreich. Dabei fehlt einfach die obere Mittelschicht fast gänzlich.

Da im EU-Raum die Gesamtverschuldung in % vom BiP eines der goldenen Kälber ist, sollte wohl diese Zahl geeignet sein Auskunft zu geben, wo es sich wohl am Besten leben ließe. Dabei hat Rumänien mit einer Gesamtverschuldung von derzeit knapp 40% vom BIP gaaaanz weit die Nase vorn (vgl. D 70%, Ö 84%, Portugal 126%).

Die Staatsquote (Staatsausgaben in %BIP) ist in Rumänien mit knapp 35% sehr niedrig (vgl. D 45%, Ö 51%) und in Portugal bemerkenswert rückläufig (derzeit 45%).

Leider sind auch die Staatsausgaben für soziale Sicherheit und Gesundheit in Rumänien entsetzlich niedrig und in Portugal derzeit rückläufig.

Staatsausgaben für Soziale Sicherheit in % BIP

Rumänien                14,1%                       (€ 868,- /pro Kopf absolut)

Portugal                    18,1%                       (€ 2.910,- /pro Kopf absolut)

Deutschland                       19,5%                       (€ 6.215,- /pro Kopf absolut)

Österreich                21,0%                       (€ 7.509,- /pro Kopf absolut)

Staatsausgaben für Gesundheit in % BIP

Rumänien                3,4%              (€ 208,- /pro Kopf absolut)

Portugal                    6,8%              (€ 1097,- /pro Kopf absolut)

Deutschland              7,0%              (€ 2.232,- /pro Kopf absolut)

Österreich                7,8%              (€ 2.770,- /pro Kopf absolut)

Aber nochmal, sagt das konkret etwas über die Lebensumstände der jeweiligen Bevölkerung aus? Vielleicht helfen noch mehr Zahlen und Fakten…

Das Preisniveau in den beschriebenen Ländern weicht stark voneinander ab (EU28 = 100). So lag es in Deutschland 2016 mit einem Wert von 103 und in Österreich mit 106 über dem EU-Durchschnitt und war in Portugal mit einem Wert von 84 und in Rumänien mit 52 leicht bis deutlich unterdurchschnittlich. http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode=tec00120&plugin=1

Bei einem Vergleich der jeweiligen nationalen Lebenshaltungskosten und der durchschnittlichen nationalen Bruttoeinkommen zeigt sich jedoch, dass z.B. in Rumänien und Portugal das niedrigere Preisniveau vom unverhältnismäßig niedrigeren Einkommen „aufgefressen“ wird.

Der Kaufkraftindex 2016 lag von Portugal mit 57% bei etwas mehr als der Hälfte von Deutschland (D = 100), der von Rumänien gar bei nur bei knapp 45%. Österreich erreichte 98,5% Kaufkraft.https://www.laenderdaten.info/lebenshaltungskosten.php

Die Armutsgefährdungsquote in Rumänien liegt bei über 30%, die von Portugal bei fast 25% (vgl. D 19,5%, Ö 16%). https://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.pt/2016/10/229.html

Einen weiteren interessanten Einblick gewährt der Social Justice Index. Ein Konglomerat auf 6 gesellschaftspolitisch sehr wichtigen Teilbereichen wie Armutsbekämpfung, Zugang zu Bildung, Intergenerationen-Ausgleich, Sozialer Zusammenhalt und Anti-Diskrimminierung, Gesundheit und Arbeitsmarkt bildet die Grundlage für einen EU weiten Ländervergleich:

Rumänien    3,91    Platz 27 EU

Portugal        4,31    Platz 22 EU

Österreich    6,69    Platz 8 EU

Deutschland  6,71    Platz 7 EU

https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/NW_EU_Social_Justice_Index_2017.pdf

Es sei an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung gestattet:

Rumänien könnte, wenn man nur einige der EU-Stabilitätskriterien heranzieht, als Hoffnungsträger gelten (https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Presse/EZB_Pressemitteilungen/2016/2016_06_07_konvergenzbericht.pdf?__blob=publicationFile).

Der Staat ist wenig verschuldet, die Neuverschuldung ist derzeit sehr gering, die Staatsausgaben in % vom BiP sind niedrig und der „Einkommens-Gini“ ließe auf relativ eine harmonische Verteilung schließen. Wenn, ja wenn die Bevölkerung nicht so verarmt wäre, die soziale Sicherheit besser wäre, es weniger Korruption gäbe, ethnische Minderheiten nicht massiv diskriminiert würden, die Lage der Jugendlichen nicht so perspektivlos, …

Und Portugal???

Das Land und dessen Bevölkerung haben im Rahmen der verordneten Austeritätspolitik in allen Bereichen ordentlich Federn lassen müssen. Die Einkommen sind in allen Bereichen gesunken und auch wenn sie sich in einigen Bereichen langsam etwas erholen, können sie mit den deutlichen Preisanstiegen (Mieten, Wohnungskosten, Energie!!!!) nicht Schritt halten. Die Zahl der „unabhängigen Beschäftigen“ (=ohne regulären Arbeitsvertrag) mit allen Nebenwirkungen (prekäre Einkommen incl. prekärer Lebenssituation) hat sprunghaft zugenommen (auch im öffentlichen Sektor), insgesamt sind in vielen Bereichen des Arbeitsrechts markante Einschnitte vorgenommen worden, z.B. Erhöhung der Arbeitszeit, Einfrieren der Löhne u. Gehälter, Einkommensreduktionen, massive Reduktion von Abfertigungszahlungen, Lockerung des Kündigungsschutzes…

Aber eine ausführlichere Darstellung ist Stoff für den nächsten Bericht….

 

 

 

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