Interview: BürgerInnenforum

Zum Thema BürgerInnenforum habe ich Michael Ewing interviewt. Er arbeitet für eine NGO zum Thema Nachhaltigkeit, welches er im Rahmen des Kongresses koordiniert. Er fiel mir mit profunder Kenntnis im Rahmen eines Koalitionsmeetings auf und wurde mir auch von der Gewerkschaft SIPTU als Fachmann empfohlen… ich wünsche erkenntnisreiche Lektüre!

Unter diesem Link gelangst du zu meinem ersten Beitrag zum Thema BürgerInnenforum. Er geht auf die Bedeutung des Forums im Rahmen des aktuellen Referendums zum Thema Abtreibung ein.

Frei ins Deutsche übersetzt:
Interview: BürgerInnenforum

mit Michael Ewing
Koordinator der
Säule Umwelt

 

Stephan Leicht: Das BürgerInnenforum (Englisch: Citizens’ Assembly) bezeichnet sich selbst als Körper der die/den Vorsitzende/n und 99 BürgerInnen umfasst, welche zufällig ernannt wurden und somit die irische Wählerschaft repräsentieren. Eingeführt wurde das Bürgerforum um die wichtigsten Herausforderungen zu betrachten, die Irlands Zukunft bestimmen werden.
Micheal, gelingt es in deinen Augen dem Bürgerforum die wichtigsten Themen zu betrachten? Wenn ja, bitte nenne einige.
Michael Ewing: Zuerst muss man verstehen, dass das BürgerInnenforum nicht selbst entscheidet, über welche Themen es befinden wird, die Regierung überreicht die Themen. Beispielsweise gab es unlängst einige Themen von großer Wichtigkeit für unsere Gesellschaft, etwa der Widerruf des achten Verfassungsartikels (Anm.: dieser regelt in Irland das nach wie vor gültige Abtreibungsverbot) und das Thema Nachhaltigkeit.

Stephan Leicht: Wie entscheidet das BürgerInnenforum über die Inhalte, die es begutachtet oder gar zu einem Referendum bringt (Anm.: Der oben erwähnte Widerruf des achten Verfassungsartikels mündet in ein Referendum pro/contra Abtreibung)?
Michael Ewing: Der Prozess bis zu den Vorschlägen (Anm.: Die Vorschläge erteilt das Bürgerforum der Regierung) ist sehr interessant: 99 Leute von unterschiedlich tiefem Fachwissen erhalten ein Fachthema von der Regierung, wie zuvor erwähnt. Das Sekretariat des Bürgerforums stellt dann eine Reihe von verschiedenen FachexpertInnen zur Verfügung, von NGO’s, von Unternehmen, Universitäten und so weiter. Das BürgerInnenforum nimmt sich 3 Tage Zeit sich mit den ExpertInnen auszutauschen, verschiedene Artikel und Studien bezüglich des Themas zu lesen, um möglichst profundes Wissen zu generieren.
Nach dreitägiger Beratung und Bearbeitung des Themas, entscheidet das BürgerInnenforum am vierten Tag worüber genau es abstimmen will, basierend auf den ExpertInneninformationen und Stimmt an diesem vierten Tag auch ab.
Was mich am meisten erstaunt, ist dass dieser ganze Prozess live online von allen angesehen werden kann.
Danach gestaltet das Sekretariat des BürgerInnenforums ein Protokoll der Empfehlungen an die Regierung und auch darüber wie das BürgerInnenforum bei jeder Empfehlung abgestimmt hat. (Anm.: Wer sich so ein Protokoll ansehen will gelangt unter diesem Link zum letzten veröffentlichten Protokoll zum Thema „Wie kann Irland eine führende Rolle beim Thema erneuerbare Energie einnehmen“)

Ich fühle Micheal auf den Zahn 😉

Stephan Leicht: Als ich in Irland angekommen bin, hat mich die aktuelle Kampagne sofort vor den Kopf gestoßen: Die Abtreibungskampagne, die in ein Referendum münden wird. Ging dieses Referendum vom Bürgerforum aus?
Michael Ewing: Dieses Thema – Abtreibung – wurde im BürgerInnenforum sehr kontroversiell diskutiert, ebenso kontroversiell wie aktuell in der Öffenltichkeit. Der Rat des BürgerInnenforums an die Regierung war es diese Entscheidung einem Referendum unter den Irinnen und Iren zuzuführen. Es gab 12.000 Unterstützungserklärungen der BürgerInnen an das BürgerInnenforum.

Stephan Leicht: Wie sieht es mit deinem persönlichen Hauptthema aus – dem Klimawandel? Unlängst hat das BürgerInnenforum ja Empfehlungen an die Regierung in seinem letzten Report gegeben. (Anm.: Unter diesem Link zu finden)
Als ich den Report durchgelesen habe war ich ziemlich überrascht wie sehr er ins Detail geht. Zum Beispiel in der dritten Empfehlung des BürgerInnenforums, hat das Forum zu 80% dafür gestimmt, dass es gewillt wäre höhere Steuern auf kohlenstoffintensive Aktivitäten zu zahlen. Bitte erkläre wie diese einzelne Empfehlung die Entscheidung beeinflussen wird.
Michael Ewing: Diese spezielle Empfehlung würde bedeuten, dass die Emissionen des Landwirtschaftssektors besteuert würden. Etwas also, was dem Landwirtschaftssektor überhaupt nicht gefällt. Somit handelt es sich hier um eine sehr kontroversielle Empfehlung. In der Öffentlichkeit wurde das zuvor nie wirklich diskutiert. Jetzt aber haben wir eine große öffentliche Diskussion darüber. Wir werden sehen, was dabei rauskommt, aber ein Punkt ist jedenfalls jetzt schon: Wir haben eine Diskussion darüber.

Stephan Leicht: Oder sehen wir uns eine für mich überraschende Empfehlung an, die Emfpehlung Nummer 6:
„Der Staat soll sicherstellen, dass die größtmögliche öffentliche Beteiligung an allen zukünftigen erneuerbaren Energieprojekten gewährleistet ist. Einerseits sollen Gemeinden ermutigt werden ihre eigenen Projekte zu entwickeln. Andererseits sollen Entwickler-geführte Projekte Anteilsofferte an Gemeinden legen müssen, um größere lokale Involvierung und größeres lokales Eigentum zu ermöglichen.“
Für diese Empfehlung hat das BürgerInnenforum zu 100% (!) gestimmt.
Michael Ewing: Ich bin ebenso überrascht, dass das BürgerInnenforum mit einer Stimme für “Gesellschaft zuerst” – das sagt die sechste Empfehlung im Kern – gestimmt hat. Ich gehe davon aus, dass große Kapitalinteressen dagegen sein werden… aber das gibt ein gutes Beispiel wie die Gesellschaft entscheiden würde, wenn sie könnte. Und das BürgerInnenforum zeigt das der Öffentlichkeit.

Stephan Leicht: Aus einer österreichischen Sicht ist das BürgerInnenforum eine Art Revolution des demokratischen Prozesses – geschieht diese Revolution tatsächlich aus einer irischen Perspektive, oder wird sie von diversen Interessen klein gehalten?
Michael Ewing: Das BürgerInnenforum hat einen großen Einfluß darauf, wie die Gesellschaft die Dinge sieht und denkt. Auf lokaler Ebene haben wir die Öffentlichen-Partizipation-Netzwerke (31 in Irland), welche mit den Länderregierungen verknüpft sind. Auf nationaler Ebene bietet das BürgerInnenforum diese Verknüpfung zur irischen Regierung als Form öffentlicher Beteiligung. Vor dem BürgerInnenforum hatten wir einen Verfassungskongress (Anm.: Die korrekte engl. Bezeichnung lautet Constitutional Convention, unter diesem Link erfährst du mehr darüber) bestehend aus einem Drittel PolitikerInnen und zwei Drittel BürgerInnen. Ich bin froh, dass sie das geändert haben. Aber es existieren auch Öffentliche-Partizipations-Netzwerke ohne Hierarchie, keiner/m Vorsitzenden und so weiter. Und ich bin begeistert wie das alles funktioniert!

Stephan Leicht: Was war bisher die größte positive Überraschung die das BürgerInnenforum hervorbrachte und was war die größte negative Überraschung?
Michael Ewing: Die größte positive Überraschung ist wie und speziell wie gut es funktioniert. Da verbringen durchschnittliche BürgerInnen 4 Tage, die meistens die Wochenenden abdecken und verrichten wirklich engagierte Arbeit. Bisher gibt es wirklich keine negativen Überraschungen für mich. Und ja, es ist wirklich eine Revolution für unsere Demokratie.

Stephan Leicht: Danke vielmals für dieses Interview!
Michael Ewing: Hat mich sehr gefreut mit dir zu sprechen!

 

Das englische Original:

Interview on Citizens‘ Assambly

with Michael Ewing
Coordinator of
The Environmental Pillar

 

Stephan Leicht: The Assembly calls itself to be a body comprising the Chairperson and 99 citizens, randomly selected to be broadly representative of the Irish electorate, established to consider some of the most important issues facing Ireland’s future.
To your point of view Michael, does the Assembly succeed in considering the most important issues so far? Please name a view.
Michael Ewing: First of all it is important to understand that the Citizens’ Assambly does not decide about which subjects it will discuss, the government gives them the subjects. For example there where a few subject of importance to our society recently, such as the repeal of the 8th amendment (abortion) and about sustainability.

Stephan Leicht: How does the assembly decide about the topics they want to consider or even bring to a referendum?
Michael Ewing: The process until recommendation is very interesting: 99 people of varying knowledge about the subject receive the subject from government, as mentioned before. The subject is then opened up for public submissions to the Assembly. All submissions are published online and the Secretariat summarises these for the Assembly members. The submissions help to inform the Assembly members. The secretary provides then a big number of different experts, from NGO’s, from academia and so forth. In preparation for the Assembly the members takes several days of reading and listening and talking to experts, reading different articels on the subject to gain a knowledge that is as profound as possible. They then meet in public with live broadcasts of the expert witnesses presentations, and questioning of same by Assembly members, which in the case of Climate Change extended over 3 days
After the 3 days of they then decide what they want to vote on, based on expert information at the 4th day and do their votes that day.
What is amazing to me is that this whole process you can watch live online. The secretary then produces a report of the recommendations to the government and the votes the Assembly did.

Stephan Leicht: As I arrived at Ireland the strongest campaign going on at the moment just hit me: the abortion campaign. Was that referendum made up by the Citizen’s Assembly?
Michael Ewing: This subject – abortion – was a very controversial discussed one at the Citizens’ Assembly as it is in public. The Assemblys’ advice to the government was to bring that decision to a referendum amongst the people of the Republic of Ireland. There were 12,000 submissions from the public to the Assembly.

Stephan Leicht: How about your main topic, the topic of Climate Change? The Citizens’ Assembly has recently given recommendations in its third report.
Going through that report I was quiet surprised in how detailed it is. For example at recommendation 3 they’ve voted with 80% that they are would be willed to pay higher taxes to on carbon intensive activities. So please describe in how that singled out recommendation will affect the governments’ decision:
Michael Ewing: That specific recommendation would mean that the emissions from the agriculture sector should be taxed. Something the agriculture sector doesn’t want at all. Therefore it is a highly controversial recommendation.This had not been really debated in public before. By now we have a big public discussion about it. We will see what comes out of it, but one point already is: We have a discussion about it!

Stephan Leicht: Or Let us look at a surprising recommendation to me, rec. 6:
The state should act to ensure the greatest possible levels of community ownership in all future renewable energy projects by encouraging communities to develop their own projects and by requiring that developer-led projects make share offers to communities to encourage greater local involvement and ownership.
That got voted by 100% of the Assembly members.
Michael Ewing: I’m surprised too, that the Assembly voted with one voice for ‘community first’ – that’s what this 6th recommendation basically is saying. I guess there are strong capital interests against that… but that gives a good example for how people would act if they could and the Assembly shows that to the public.

Stephan Leicht: From an Austrian point of view the Citizen’s Assembly is a revolution to the democratic process – is this revolution really happening from an Irish point of view, or is it kept small by other interests?
Michael Ewing: The Citizens’ Assembly has a huge impact on the way that people think. On a local level we do have the public participation networks (31 in the Republic of Ireland) which is linked to the local governments. So on a national level it is the Assembly that provides this link to the Irish government as a form of public participation. Before the Citizens Assembly we had Constitutional Convention  with 1 third politicians in it and 2 third citizens. I’m glad they’ve changed that. But there also exist public participation networks with no hierarchy at all, no chair person and so on. And I’m amazed in how they work!

Stephan Leicht: What was so far the biggest positive surprise that came out of the citizens’ Assembly gatherings, and what was the biggest negative surprise?
Michael Ewing: The biggest positive surprise to me is how and especially how good it works. There are average people spending 4 days that always cover weekends and they do a really engaged work. So far there are really no negative surprises to me. And yes it really is a revolution to our democracy.

 Stephan Leicht: Thank’s a million for that interview.
Michael Ewing: It was a pleasure speaking to you.

 

 

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